Tamera

 

Der Versuch eines Garten Eden inmitten der portugiesischen Steppe.

Seit nunmehr neun Jahren hatte ich das gelobte Land – Tamera auf meinem Go-To-Radar. Damals war ich das erste Mal auf Soloreise durch Portugal und machte Stippvisite bei diversen Gemeinschaften. Eine glühende Zeit, die im Grunde die Grundpfeiler für meine spirituelle Reise und berufliche Laufbahn legte. Tamera musste ich ihrerzeit den Laufpass geben – ich konnte es mir schlicht finanziell nicht leisten.

Nachdem wir diesen Sommer 2022 bereits im ZEGG gewesen sind, das von den gleichen Menschen wie Tamera gegründet wurde, und ich heute als arbeitstüchtiger Mensch inmitten des System über die nötigen Mittel verfügte, beschloss ich, dass die Zeit nun gekommen sei. Und so buchte ich Ferdinand und mich in die Einführungswoche der Liebes-Öko-Gemeinschaft Tamera. 

Wer oder was ist dieses Tamera? 

Tamera ist eine Gemeinschaft von mittlerweile rund 140 Mitgliedern, die im Süden Portugals angesiedelt ist. Sie ist die Konsequenz verschiedener politischer, ökologischer, spiritueller und erotischer Forschungen einer Gruppe und Anhängerschaft rund um Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels, die hier eine Alternative gegenüber Kapitalismus und Patriarchat vorleben möchte. Die Idee ist, dass wir erst dann Gutes in der Welt bewegen können, wenn wir uns individuell und vor allem aber auch kollektiv mit uns selbst beschäftigt haben, um so alle widrigen Dynamiken, die den Fortschritt Richtung Frieden verwirken, vorzubeugen und schlussendlich auch zu beseitigen. Denn die mangelnde Selbstentfaltung führe zu Selbsthass, die einen inneren ethischen Verfall bedinge, auf den wir mit niederen Ausweichmethoden reagieren um zu überleben, was wir dann heute Charakter und Kultur nennen. Leitbild scheint das sogenannte goldene Zeitalter zu sein, da alle Menschen geheilt sind und im Frieden in sich und miteinander leben. 

Kompromisslos in eine neue Welt 

Tamera hat ihre Ursprünge in der sogenannte Bauhütte, eine Gruppierung der 70er. Dieter Duhm ist damals linkspolitisch aktiv und sieht die Bewegung durch ihre eigenen, im Untergrund stattfindenden tabuisierten Kämpfe um Geltung und Sex, implodieren. Er beschließt neu zu denken. Radikal und unentschuldigt die Welt Kopf zu stellen und schart ein paar wenige Menschen um sich, die es wissen wollen. Ist Heilung und Frieden auf Erden möglich? Dieter Duhm, den in Tamera alle nur Delon nennen, sagt Ja! So schließt sich ein Haufen Menschen für drei Jahren auf einen Landhof ein und beginnt zu forschen. Sie wollen sich entfalten, sich selbst darstellen, der Liebe und dem Eros auf die Spur kommen und sich aller internalisierten Skripte und Konzepte befreien. Was bleibt? Was ist essentiell? Wie bahnen wir den Weg? Es entstehen diverse Manifeste, die eine neue Gesellschaftsführung vorschlagen. In Gemeinschaft. In Verbindung zur Natur. In Selbstverantwortung und geistiger Anbindung.

Während uns die Entstehungsgeschichte erzählt wird, lauschen wir mit großen Ohren und Augen. Ein besonderer Zauber wohnt dieser Aufbruchsstimmung inne, der noch immer in den Worten der Rednerin nachhallt. Was für eine mutige Zeit, die voller Radikalität, Tatendrang und Experimentierfreude neue Tore in andere Dimensionen aufgestoßen hat. Später in der Woche sagt eine jüngere Frau, die hier seit acht Jahren lebt, etwas bedauernd, man hätte wohl vor 20 Jahren hier sein sollen. Alles scheint heute etwas besänftigt und auch gemäßigter geworden. “Das gleiche sagen wir über Berlin auch immer” meine ich zu ihr. Und wir schmunzeln beide über die wahrscheinlich romantisierte Sehnsucht in frühere, nicht erlebte Zeiten, die doch so viel Intensität und Umbruch innegehabt zu haben scheinen. 

It’s Sex, Love & Eifersucht

Tamera legt einen großen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Befreiung der Liebe und der Sexualität. Denn die Logik ist folgende: Alle Kriege in der Welt, makro wie mikro, als auch das Scheitern an der Menschlichkeit, resultieren ursprünglich aus verdrängten und abgespaltenen erotischen Begehren. Um echten Frieden zu erreichen, so müsse die wahrhafte Kooperation zwischen Mann und Frau hergestellt werden. Alle Bereiche des Lebens seien von der sexuellen Kraft tangiert, nur eben im Verborgenen und daher fehlgelenkt in Form von Machtkämpfen und Eifersucht. Besonders letzteres gehöre nicht zum heilen Menschen. Sie sei konstruiert. Liebe, so lernen wir, ist frei von Lügen, frei von Betrug. Das Leben in monogamen Beziehungen im Grunde das Verleugnen seiner Selbst. Eros soll frei fließen können – und ja, die Tamerianer haben mehrere Beloveds, wodurch sich fluide Liebesnetzwerke bilden. Es gibt eine Liebesschule für die Mitglieder, in der Rat geholt werden kann, gekuppelt wird und auch einmal wöchentlich öffentlich erotische “Siestas” veranstaltet werden. Gemeinsam verbrachte erotische Zeit darf und soll mit der Gruppe post-koital geteilt werden. Auch wir erleben dies, nachdem einer der Seminarleiter mit einer Teilnehmerin schläft… Different Topic.

Nein, so höre ich, frei von Eifersucht sind viele nicht. Aber man bemüht sich. Viele Gespräche. Viel Einsicht und Verständnis. Viel Schälen. Das tamerianische Tool dafür ist das sogenannte Forum, da bestimmten Regeln der Kommunikation folgend, innere Prozesse offen dargelegt und von anderen bezeugt oder vielleicht gar gespiegelt werden. Außerdem hilft es, die gleichen Werte von Transparenz, Ehrlichkeit und (Selbst)-Verantwortung zu teilen. Die Kursgruppe ergänzt, dass wohl auch die lokale Präsenz entscheidend ist für die vertrauensvollen Prozesse, in die sich Mensch hier dadurch leichter stürzen kann. Hier könne man schlichtweg nicht ghosten oder geghostet werden. Schließlich ist man gut Nachbar und möchte das auch bleiben. 

Bums to go

Gegen Ende der Woche wird am Mittagstisch etwas mehr aus dem Nähkästchen geplaudert… Zum Beispiel würde nach Sex hier einfach gefragt. Dann ginge man entweder direkt in eine der dafür hergerichteten Liebesnester oder verabrede sich gezielt für den Beischlaf. Manchmal würden die gewünschten sexuellen Erlebnisse gleichwohl im Vornherein abgesprochen.  

Hahhhhhh…. Ich fühle meine Enttäuschung über diesen Hergang, da die Schmetterlinge wohl leider draußen bleiben müssen. Transparenz und Natürlichkeit schön und gut – ich finde es aber sehr nüchtern und meine, dass ich mein Zazazu gerne hab. Den kleinen Tanz. Das Nicht-ganz-sicher-sein. Den Spannungs-Aufbau… Dafür habe man hier keine Zeit, ist die Antwort. Okeeee, denke ich. Für alles andere scheint viel Zeit zu sein; das Tempo in Tamera ist langsam und jeder Vorgang mit allseitigem Bewusstsein gekleidet; aber gerade hier – der Sex hat mir einen zu nackten Touch.

Das ist öko!

In Tamera geht es nicht nur um die friedvolle Kooperation zwischen den Geschlechtern und den Menschen; sondern auch um ein respektvolles Zusammenleben mit den Tieren und der pflanzlichen als auch spirituellen Umwelt. In Tamera werden Länder und Bäume gefragt, ob eine Veränderung im Umkreis okay ist. Bevor etwas gebaut wird, werden die Insekten der Wiese informiert den Platz lieber zu verlassen, um sicher zu sein. Auch mit Ratten und Wildschweinen, die sehr präsent sind in Tamera, wird kommuniziert und auf ihre Zeichen gehört. Es ist ein wirklich anrührender und inspirierender Umgang mit der Natur und seinen Geistern. Ich merke, wie sofort mein Effizienz-Geist sowas plappert wie “Na, ihr habt ja Zeit”. Aber nein, sie nehmen sich die Zeit. Und das ist etwas Wunderschönes. 

Nebenbei die Welt gerettet

Wasser ist ein großes Problem in dieser Region Portugals. So dreht sich in Tamera sehr viel um sogenannte Water Retentions; simpel gesagt so etwas wie Wasserauffangbecken. Der Mensch, der uns über die Landschaft Tameras aufklärt, macht Hoffnung, dass wir dank solcher Water Retentions sogar die Klima-Krise überwinden können. Indem wir es nämlich schaffen, dass das Land Regenwasser aufnehmen kann. 

Denn viel zu häufig, und gerade in Städten, würde das Wasser ausgeleitet werden. Damit schießt dieses wieder in die Meere, deren Spiegel steigen, währenddessen gleichzeitig die Böden landseits veröden und austrocknen. Außerdem reißt das Wasser zusätzlich die obere fruchtbare Schicht des Bodens mit sich, den Humus, sodass das Land auf keinen grünen Zweig mehr kommen kann.

Lösungsansätze seien also, den Boden zu stabilisieren, sodass keine Erosion mehr stattfindet und gleichzeitig dem Land durch Wasserauffangbecken zu helfen, das Wasser dort zu behalten. Dadurch bleibt die Erde feucht; es kann wieder mehr wachsen. Zum Beispiel auch mehr Bäume, die wiederum zur Abkühlung beitragen.

Es ist sehr inspirierend, wie dieser kluge Mensch voller Begeisterung und Fachwissen so zuversichtlich spricht. Und während wir uns Tameras Maßnahmen diesbezüglich betrachten, verfolge ich einen analogen Gedanken zur Liebe. 

Eros statt Erosion 

Nehmen wir an, dass Wasser bzw. der Regen der Liebe entspricht. Insofern würden wir uns gegenseitig bewässern und auch gut feucht halten. Doch gerade in Langzeitbeziehungen hat zumeist durch Verletzung und Enttäuschung zu viel Erosion stattgefunden, sodass die Liebe auf keinen fruchtbaren Boden mehr fallen kann und in dem Sinne einfach abfließt bzw. abprallt. Wie können wir es also schaffen, der Erosion in Langzeitbeziehung Einhalt zu gebieten und dem Eros wieder Raum zu geben, indem wir einerseits den Boden stabilisieren und andererseits humusieren. Auf dass die prächtigsten Liebespflanzen zu ihrer Klimax wachsen können (so spricht man wohl auch in der Faunawelt). Ein Gedanke zum Mitnehmen. 

Heilung, Heimat & Heiland

In Tamera soll der Mensch in und durch Gemeinschaft heilen. Zu sehr wurde die Menschheit von Patriarchat und Kapitalismus gebeutelt und zerstört. Und ja, wohl auch entheimatet, da wir in nukleare Familienstrukturen und raus aus der Gruppe getrieben wurden. Was entstand war und ist Isolation, Kampfhaltung und Gottverlassenheit. Denn nicht nur von anderen Menschen wurden wir abgespalten, sondern auch von der Natur und der Göttlichkeit, die alles und jeden durchdringt. Spiritualität ist ein weiterer wichtiger Wert im Lande Tamera. Die zu witternden Wurzeln sind im Christentum, Hinduismus und Schamanismus zu verorten. Was Sinn macht, angesichts der Projekthistorie.

Die Annahme scheint ganz klar zu sein, dass unsere Natur heil ist und alle unliebsamen Züge wie Rache, Missgunst und Eifersucht Konsequenzen einer fehlgeleiteten Lebensführung sind und nicht etwa menschlich und daher vollständig auflösbar. 

Ich persönlich habe mittlerweile ein ambivalentes Verhältnis zu dem Wort Heilung. Nicht nur wurde es stark kommerzialisiert und in dem Zuge auch profaniert, sondern es schwingt eben auch immer mit, dass etwas mit mir nicht stimmt; ja sogar kaputt oder krank ist. Außerdem spüre ich ganz besonders hier in Tamera den großen Druck, die das aus meiner Sicht utopische Konzept Heilung, ausstrahlt. Denn wenn ich davon ausgehe, dass all meine sogenannten Niedrigkeiten Krankheitssymptome sind, ist es mir unmöglich in Frieden mit mir selbst zu leben, weil ich stets bemüht bin, reiner und essenzierter zu werden und Teile von mir ablehne. Ich aber glaube, dass wir ein Work in Progress sind. Until we f die. Und dass Heilung insofern möglich und notwendig ist, als dass ich mich immer mehr selbst erkenne und begreife, so Verantwortung für mich selbst und mein Handeln zu übernehmen lerne, raus aus der Opferrolle trete und eben auch Verantwortung für mein Umfeld übernehme, da ich auch dieses mit Güte durchdringe. Das goldene Zeitalter vielleicht mehr die wunderbare Insel Utopia, die mir Richtung und Orientierung schenkt; die aber vielleicht ganz so wie der Horizont nie ganz zu erreichen ist. Und auch damit lieblich zu sein. 

Der Einführungskurs

Nachdem ich nun auf verschiedene Charakteristika der Gemeinschaft eingegangen bin, möchte ich noch ein paar Worte zu dem einwöchigen Einführungskurs selbst verfassen und weitere Gedanken und Beobachtungen ergänzen, die währenddessen entstanden. Vorab sei gesagt, dass ich vor dem Kurs dachte, ich würde hier ein Loblied über Tamera und die Woche selbst schreiben. Alle Stimmen die mir allzeit zu Tamera begegnet sind, trieften vor Anerkennung und Bewunderung. Ferdinand und ich machten eher “so und so” Erfahrungen und ich hoffe, eine harmonische Waage halten zu können. 

Set your intention

Wir sind also mit 40 weiteren Teilnehmer*innen in Tamera gelandet. Und die erste Frage, die wir in Dreiergruppen erörtern sollen, ist warum wir hier sind. Und ich, die bis hierher nur so lapidar der Meinung war, sich Tamera eben mal anschauen und neue Inspiration schöpfen zu wollen, erlange eine schöne Einsicht: Während ich ins portugiesische Land blicke, diese ganz bestimmte Flora betrachte, die Luft einatme und begreife, dass ich bereits das vierte Mal in Portugal in Gemeinschaft bin, wird mir klar, warum ich wirklich hier bin.

Ich bin hier, um mich eines ziemlich verschüttenden Anteils meiner Selbst zu erinnern. Eine Kathi, die frei(er) von Effizienz, Performance und Eitelkeit ist. Eine Kathi, die der Natur verbunden(er) ist, sich selbst mehr zurück nimmt und herzoffen und gespannt den Geschichten der Menschen lauscht und aus den Vollen heraus lacht. 

Ein starres Seminarkonzept

Obgleich dieses Erstgespräch bereits so bereichernd war, so ließ sich diese Art der Inspiration die kommenden drei Tage nicht mehr blicken. Stirnrunzelnd und eigentlich ungläubig erkenne ich die Kursstruktur: Wir sitzen sechs Stunden am Tag auf Stühlen oder am Boden, lauschen 30 Minuten einem gesandten Experten zu einem Thema, woraufhin 90 Minuten klassisches Q&A folgt. Dazwischen eine Menge Pausen. That’s it. Keine Übung. Kein gemeinsames Forschen, wie zum Beispiel Erkenntnisse in unsere Lebensrealitäten übertragen werden könnten. Nichts. Und ich denke mir, dass nicht mal das so hoch-kritisierte deutsche Bildungssystem einem so trockenen Rhythmus folgt. Unmut macht sich in der Gruppe breit und ein Teilnehmer trifft es auf den Punkt: “Ich bin seit drei Tagen hier; und ich habe immer noch keine Ahnung, worum es hier geht.” Denn leider waren selbst die Vorträge der ersten Tage sehr unstrukturiert und muschebubu.

Auch Ferdinand und ich sind sehr frustriert und überlegen am Abend des dritten Tages vielleicht lieber wandern zu gehen. Denn ich finde hier keine so hochgehaltene Transparenz. Habe das Gefühl nur instagrammable Schemen und pathetische Parolen präsentiert zu bekommen. Aber ich will noch nicht aufgeben. Kann nicht begreifen, dass Tamera so ungreifbar ist und wir beschließen zu bleiben und offen zu sein, uns berühren zu lassen. 

Es bricht auf 

Tatsächlich wird es ab dem vierten Tag besser und klarer.  Das noch nicht mal offen ausgesprochene Feedback wird von der Kursleitung aufgenommen und ein junger Mann scheint das erste Mal einen Plan beim Reden zu haben und gibt auch Einblick in die Schwierigkeiten, denen Tamera nämlich momentan ganz offenbar ausgesetzt ist. Nach diesem Vortrag wird uns klar, warum bislang alles so verhüllt und schwammig blieb. Die Gemeinschaft steht an einer Bruchstelle.

Dieter Duhm, eigentlich nur einer von zwei Hauptgründern neben Sabine Lichtenfels, ist krank. Er ist alt geworden und besitzt offenbar nicht mehr die Kraft, die Gemeinschaft weiter glühend anzuführen, zusammenzuhalten und voranzutreiben. Und nicht nur er ist alt geworden. Die ganze erste Welle der Bewegung der 70er ist nun selbst in ihren 70ern. Und es wird klarer, warum hier irgendwie niemand wirklich happy aussieht. Sondern eher müde und mürbe. 

Besonders die letzten zwei Corona Jahre, da Tamera keine Besucher*innen hatte und nur auf sich selbst zurückgeworfen war, hat wohl einige Prozesse in Gang gesetzt. Die Gemeinschaft muss sich klar werden, welche Führungsstruktur sie in Zukunft haben möchte. Sie müssen raus aus der Follower-Rolle und Eigenverantwortung übernehmen. Genauso wie bei vielen solcher Bewegungen scheinen die Menschen erneut den Lehrer mit den Lehren verwechselt zu haben, obgleich sie das sicherlich nicht wollten und die Diskrepanz jetzt schmerzlich feststellen müssen. Außerdem scheint das Engagement der Gemeinschaft zu bröseln. Die Veranstaltungen, die für alle sind, werden von einem Viertel wahrgenommen; wenn überhaupt. Die Tamerianer leben in Bauwagen, wodurch sich zu viel Privatsphäre eingeschlichen hat,;würden manche hier sagen. 

Gleichwohl scheint mir eine neue Vision notwendig. Die Bilder, Vorstellungen, Schwerpunkte und Worte sind zwar noch aktuell und gleichzeitig aber ein wenig obsolet und bedürfen einer Überholung. Wir hören viel über Männer und Frauen (immer im Rahmen der hetero-normativen Stereotypen; ich habe zum Beispiel viel gerlernt diese Woche was meine Rolle als Frau genau ist (Mutter des Lebens, Mutter der Kinder und Mutter der Männer, alright)) und die wahre Kooperation zwischen den Geschlechtern. Wie diese genau aussähe, kann mir niemand beantworten. “Das gilt es herauszufinden”. Ich glaube, um weiter voranzukommen, reichen Parolen nicht mehr aus. Zumal die eigene Autorenschaft unverzichtbare Zutat ist für den weiteren Weg Tameras ohne ihren Anführer. Oder wäre das dort Blasphemie?

Dieter Duhm spricht die Sonntagsandacht

Jeden Sonntag Morgen ist “Matinée”. Ein Art Gottesdienst in der sogenannten Aula, ein schöner großer Raum auf dessen Dach sattes Gras wächst. Dieter Duhm selbst soll heute zu uns sprechen und ich bin sehr gespannt. Gemeinsam mit seiner Tochter beginnt er die Bühne zu betreten. Doch seine Beine wollen nicht mehr so wie er und Dieter Duhm fällt. Aus eigener Kraft kommt er nicht mehr hoch. Hilfe will er nicht. Er krabbelt ein Stück. Dann zieht er sich sichtbar mühsam an der Hüfte seiner Tochter wieder ins Stehen. Ich habe Tränen in den Augen. Das sollte der intimste Moment der Woche sein.

Das eigentlich angekündigte Gespräch zwischen Vater und Tochter entpuppt sich höchstens als moderierter Monolog; was sich etwas seltsam anfühlt an diesem Ort, der sich so sehr gegen patriarchale Strukturen stellen möchte. Delon spricht über zwei Mächte in dieser Welt. Die eine ist die Zerstörung; sie reicht bis an die Tore Tameras; hier drinne herrsche die zweite: Liebe.

Die Gegenüberstellung von Zerstörung und Liebe als Antagonisten stößt mir etwas auf. Mir ist klar, dass auch der Duhm wissen muss, dass Zerstörung auch Teil von Liebe ist und empfinde diesen Kniff als Stimmungsmache.

Später im Nachgespräch innerhalb der Gruppe stelle ich infrage, ob die konstante Antistellung Tameras gegen die böse Gesellschaft da draußen, während doch der Frieden hier das erklärte Ziel ist, denn nicht selbst eine kämpferische und abspaltende Haltung ist. 

Die Rede ist aus meiner Sicht profan und recht oberflächlich. Die Inhalte sind wichtig, ja. Es geht um Frauen und Männer; um Krieg und Frieden; um Projektionen und Ödipus. Aber kein Einblick; kein Gedanke ist neu. Stattdessen höre ich höchst emotionalisierte Geschichten, da zum Beispiel ein ukrainischer Mann seine Frau im Krieg verliert und ihren toten Körper auffindet und ein letztes Mal küsst und feststellen muss, dass er sie noch nie so sehr geliebt hat wie in diesem Moment (ein herzloser Tropf, dem das nicht Tränen in die Augen treibt), und tolle Parolen für eine goldene Zukunft.

Im Gruppengespräch stehen Ferdinand und ich (und vielleicht noch zwei bis drei weitere) mit dieser Wahrnehmung allein. Göttlich und Heilig lautet das Prädikat der Gruppe zur Rede. Man sollte diesen Spirit in alle Kirchen in die Welt hinaustragen und dem Curriculum folgen. Dass wir an der Stelle über Missionarsabeit sprechen, scheint nicht aufzufallen. Und abermals lerne ich: Eine starke und hochtrabende Zielsetzung treibt die Mengen zusammen und lässt sie in Ehrfurcht erstarren. Follower-Modus aktiviert. Gänsehaut auf meiner Haut.

Ein Schlichtungsversuch

Nun sind recht bissige Worte gefallen. Und ja, ich sehe einige Punkte in Tamera kritisch. Es gäbe auch noch mehr. Aber hierbei möchte ich es belassen. Allerdings nehme ich auch ungetrübt deren wirklich seelengeleitete Vision und mutige Manifestation wahr. Ich habe hier eine Güte und einen Respekt zwischen den Menschen und der Natur erlebt, die mich tief berührt hat und stark inspiriert. Und ich glaube, dass Tamera im Moment einfach viel zu bewältigen hat. Aber tatsächlich auf rosige Zeiten blickt, wenn sie den Generationswandel zu meistern versteht. Denn nach unzähligen Jahren des Baustopps beispielsweise, darf Tamera endlich neue Häuser bauen, da man hier mehr Gemeinschaftsheime errichten möchte. Auch eine neue offizielle internationale Schule ist auf dem Weg in die Welt und ich denke, dass Tamera mit all diesen neuen großen Schritten wieder in sich selbst Fuß wird fassen können und freue mich auf den nächsten Besuch in ein paar Jahren, da ich davon überzeugt bin, dass sie die Schwelle überwinden und mit ganz neuer Kraft und Klarheit hervortreten werden.

Einen großen Dank möchte ich auch an die wundervolle Gruppe aussprechen, mit denen wir die Woche verbracht haben und die uns ungemein bereichert hat.  

Die Antwort auf dem Fuße

Am letzten Tag wache ich morgens auf und habe einen Ohrwurm. Erst während ich ihn auf dem Weg in den Seminarraum vor mich hin murmele, fällt es mir auf: 

“Ich bin wieder hier. In meinem Revier. Ich war nie wirklich weg; hab mich nur versteckt. Ich rieche den Dreck, ich atme tief ein, und dann bin ich mir sicher, wieder zu Hause zu sein.”

Diese Worte sind glasklar unmittelbare Resonanz auf meine Intention vom Anfang der Woche und ich bin wie verzaubert von der hohen Frequenz dieses Landes, dass mich meiner Wurzeln und meiner Heilungsaspekte und -ansätze immer wieder erinnert. 

Danke Tamera für euren Mut. Danke Tamera für eure Vision. Danke Tamera für eure Unerschrockenheit. Danke Tamera für eure Erinnerungen. Und danke Tamera für das sich Öffnen. Es war uns wirklich eine Ehre. Bis zum nächsten Mal!

 
Katha KeliCommunity, Eros, Ecology