Gibt gleich Klatsche!

 

Mein Ausflug ins BDSM-Camp

*** Triggerwarnung : Vergewaltigungsphantasien ***


Ich sag’s offen heraus: Ich hatte früher immer eigentlich starke Vorbehalte gegenüber BDSM und Co. Ich hab die lustvolle Freude an Schmerz nie nachvollziehen können und konnte auch  mit dem ganzen Hype um Lack und Leder; heute Latex; nichts anfangen. Als 17-jährige hatte ich mir mal versuchsweise einen Latex-Ganzkörperanzug gekauft und quietschte und quetsche damit für mich völlig ungeil vom Badezimmer hinüber ins Bett meines damaligen Freundes. 

Für mich war die ganze Fetisch-Schiene auch viel mit Gynstühlen, Andreaskreuzen und Fäkalnummern verbunden — wobei von mir aus alle machen können, was sie mögen, soweit konsensuell — aber mir persönlich ging das ab. Ich glaube auch, dass ich das ganze Demütigen und Erniedrigen als frauenverachtend empfand; schließlich waren es doch zumeist Mumumenschen in der devoten Rolle, die sich dem Herren ergaben. Und schlussendlich hatte ich ehrlich gesagt immer das Gefühl, dass mit den Leuten was nicht stimmt, die auf so etwas stehen und irgendwas in ihrer Kindheit schief gegangen sein muss. 

Und gerade weil da ich da so viele Vorbehalte und eine so starke Ablehnung verspürte, schrieb ich mich vergangenen Spätsommer für eine Art BDSM-Camp ein. Ich dachte, wenn da so viele Gefühle sind trotz Unkenntnis, muss ich doch mal in diese Ecke schauen und mein eigenes Tabu brechen. Außerdem war ich neugierig, ob es nicht vielleicht doch möglich ist, an physischem Schmerz Lust zu verspüren und davon geil zu werden. 

Also fuhr ich auf’s Berliner Land zu einer einwöchigen Weiterbildung für vornehmlich Sex-Arbeiter*innen, um mit ihnen rund um Shadow Tantra und Conscious Kink zu forschen. Und in der Tat lüpfte ich so manchen Schatten meiner indoktrinierten Vorbehalte und wurde eines Besseren belehrt

Originalität & Authentizität 

Meine erste Wertschätzung galt dem fabelhaften Käfig voller Narren; angefangen bei der Kursleitung bis hin zu allen Teilnehmer*innen. Was ich damit meine, ist dass wir ein wunderschöner bunter Haufen verschiedenster Charaktere und Backrounds gewesen sind, während jede*r von uns in seiner*ihrer Einzigartigkeit und Schönheit vollends anerkannt und respektiert wurde. Jede*r so sein konnte, wie er*sie wollte und nichts erwartet wurde. Das sollte eigentlich immer so sein; aber gerade im Spiri-Kontext habe ich leider schon so häufig anderes erlebt, da alle den gleichen Worten, Gesten und Meinungen folgen und nur noch Abziehbilder voneinander sind und jeder versucht, den anderen irgendetwas zu beweisen. Nicht hier. Daraus entstand eine von mir sehr ersehnte authentische Öffnung und echtes Interesse an den Menschen um uns herum. Wir haben einander gesehen und uns auch einander gezeigt. Eine unverzichtbare Komponente für prickelnde Erotik, wie ich finde. 

Das Ding mit dem Konsens

Im Rahmen einer proaktiv sexuellen Veranstaltung war es selbstverständlich unerlässlich, das Thema Konsens für alle noch mal aufzufrischen. Konsens ist ja jetzt in aller Munde. Das ist auch gut so ; allerdings wird es leider häufig wischiwaschi behandelt und mir dünkt es nicht selten wie eine Art Green-Washing; nach dem Motto: Sie wurden über ihre Rechte belehrt. Abgehakt. Ich war nicht nur einmal bei Events die Konsens und Safe Space ganz groß auf ihre Fahnen schrieben und keines von beiden echte Beachtung fand. Außerdem schwubbelt immer noch so was in der Luft herum, dass Konsens im Grunde unsexy sei und Frauen doch eigentlich mal wieder richtig rangenommen werden wollen

Und ich muss auch sagen, dass ich erst bei meiner BDSM-Fortbildung wirklich begriffen habe, welch geiles Geschenk Konsens doch tatsächlich ist und wie wir es lustbringend leben können! Und müssen…

Denn hier gab es kein Peer-Pressure und stattdessen echte Anerkennung und Wertschätzung für gesetzte Grenzen und geäußerte Wünsche. Für jedes Nein und jedes Ja gab es ein herzliches Danke : Schließlich zeigt beides uns, dass wir Erwünschtes tun, wodurch wir uns innerhalb dieser klaren Rahmen frei und lustvoll bewegen und austoben können. Nicht nur lernen wir aufeinander zu hören und zu achten; wir müssen und dürfen auch lernen auf uns selbst zu hören und zu achten. Super Sache! Unumstößlich für einen sauberen Konsens ist es, Prozesse zu entschleunigen und in jedem Moment zu schauen, ob die Verbindung zwischen allen Beteiligten noch besteht und niemand einfach aus-checkt oder sein*ihr Ding durchzieht.

Na klar entstehen Begehren und Verweigerungen auch on the Go, weswegen die Verwendung von beispielsweise Farbsignalen eine hervorragende Möglichkeit ist, in stetem Austausch zu bleiben, ohne den Fluss zu unterbrechen. Das war besonders wichtig als wir uns im Rahmen meiner Fortbildung dem heißen Thema Consensual Non-Consent praktisch zuwandten. 

Consensual Non-Consent 

(TW!)

Was widersprüchlich klingt, ist es nicht. Denn ja, es gibt es einen menschlich inhärenten Wunsch genommen und überwältigt zu werden. Die Kontrolle abzugeben. Auch Vergewaltigungsphantasien sind bei vielen Menschen in der Masturbation zu finden; aber höchst tabuisiert und die Meisten schämen sich schrecklich dafür und denken, es sei etwas nicht in Ordnung mit ihnen. 

Ich lernte auf dem Seminar Freunde aus Frankreich kennen, die in Abständen erotische Verfolgungsjagden organisierten, da in konsensuellem Rahmen die eine Hälfte jagte und die andere Hälfte sich sexuell überwältigen ließ. Das möge erst mal anstoßen, wenn man das hört. Aber diese sogenannten Primal Prey Games sind jedesmal im langen Voraus ausgebucht!

Zurück zu meiner Erfahrung. Während des BDSM-Camps praktizierten wir also Consensual Non-Consent und mimten damit eine Übergriffssituation und ich war ängstlich bis gespannt, meinen größten Albtraum zu verkörpern und; wenn auch in einem sicheren Rahmen; ansatzweise zu realisieren. Ich überlegte, ob ich die Sache sachte angehen und eine Frau als Übungspartnerin anfragen würde; entschied mich aber für’s volle Kaliber und bat jenen Mann mir diesen Dienst zu leisten, der mich in der Tat auf eine gewisse Weise gruselte. Und ich bin dankbar dafür. Es war für mich extrem ermächtigend mich dieser Angst ein Stück weit zu stellen und ja; am Ende auch meine Machtlosigkeit am eigenen Leib zu erfahren. All den Widerstand und die blanke Widerstandslosigkeit… Ich reiße das Thema deswegen an, weil es mir extrem wichtig ist, die Scham und die Schuld aus solchen Lustgebieten herauszunehmen und zu sagen: You - are - not - alone!

Das Spiel mit der Macht 

Genauso wie Schmerzspiele habe ich auch die liebe Macht lange und betont aus meinem Sexleben ausgeklammert. Wollte mich nicht ficken lassen. Schließlich war ich Tantrika und mein sexuelles Sein ach so erhaben und oh so rein. Was ich nicht begriff war, dass ich damit einen essentiellen Teil von Erotik weggedrückt hatte: Das Animalische; das Unmoralische; das Triebhafte. 

Bereits im Jahr zuvor schwante mir diese Erkenntnis als ich einen erotischen Sammelband von Anais Nin las, deren Geschichten vom Anfang des 20. Jahrhunderts jeglicher Moral trotzten und mich gleichzeitig unfassbar anturnten. Ich begriff, wieviel ich mir und wir uns auch kollektiv verweigert hatten. Denn Sex kennt am Ende keine Moral. Er kennt das Lustprinzip. Und wir als sozialisierte Menschen leben eine Werteprinzip; das unverzichtbar für ein konsensuelles Miteinander ist! Doch beides möchte gelebt werden und kann eben auch Schoß in Schoß gehen. 

Wenn wir uns auf Machtspiele einlassen; was dem BDSM ja sehr grundlegend ist; erleben wir uns in verschiedenen Rollen, die wir im Alltag — der eher auf Gleichberechtigung und Augenhöhe ausgelegt ist — nicht ausagieren können. So erfahren wir beispielsweise in der devoten Rolle nicht nur völlige Kontrollabgabe, sondern auch pure Hingabe. Wenn wir uns in einem sauberen konsensuellen Rahmen bewegen, können wir so vollstes Vertrauen im aufregenden Gefilden praktizieren. Und gerade für all die gewollten oder ungewollten Kontrollettis unter uns kann das eine tiefschürfend befreiende Erfahrung sein, einfach mal loszulassen, die Dinge geschehen zu lassen und die Verantwortung abzugeben. 

Andersherum geht es bei der dominanten Rolle um genau das: Um Verantwortung. Denn auch Macht möchte und muss gelernt werden. Viele verwechseln Macht mit Despotismus und Abwertung. Aber Führen verlangt viele Kompetenzen! Auch im und um’s Bett herum. Der dominante Mensch respektiert nicht minder die Wünsche und Grenzen des dominierten Menschen und trägt eben die Verantwortung für dessen Wohl… Wie für ein höchst-geschätztes Besitztum. Das Schöne an der Machtposition ist es auch, sich selbst in seiner voller Kraft und Selbstwirksamkeit zu bezeugen. Ein erhebendes Gefühl, das uns auch im Leben viel Gewinnendes bringen kann. 

Ich persönlich halte es für besonders geil und persönlichkeits-als auch beziehungsfördernd diese Rollen immer wieder zu tauschen. Auf dass sich einerseits im sexuellen Rahmen ausagierte Muster nicht zu sehr auf den Alltag übertragen (oder vice versa), und andererseits alle das Vergnügen haben beide Rollen zu verkörpern und davon zu profitieren. Außerdem fördert es Empathie und Kenntnis. 

Denn wir alle tragen alle Samen und Anlagen in uns. Während des BDSM-Camps ging ein Großteil der Gruppe schlichtweg davon aus, dass ich aufgrund meiner direkten und selbstbestimmten Art sicherlich als professionelle Domina arbeiten würde; was ich denke ich auch sicherlich gut könnte; gleichzeitig aber hegte ich den starken Wunsch mich dominieren zu lassen; musste und muss ich doch ohnehin im meinem Alltag schon so viel organisieren und managen. So können uns BDSM und Machtspiele entlasten als auch ermächtigen. Ein Halleluja auf das!

Schmerz lass nach..

Ich bin ja eine richtige Mimose, was physischen Schmerz anbelangt und versuche ihn tunlichst zu vermeiden. Nichts läge mir also ferner, mich für den Lustgewinn auspeitschen zu lassen. Und doch war da die Neugierde. Schließlich schien es ja für Viele möglich oder zugänglich. Während der Woche beobachtete ich andere Teilnehmer*innen wie sie unter Klappsen und Schlägen lustvoll jauchzten und nach mehr verlangten.  

Yes, but no. Mich konnte der Schmerz auch während des BDSM Camps nicht zum Höhepunkt bringen. Aber ich habe begriffen, dass es dabei um so viel mehr geht, als die körperliche Pein. Es geht zum Beispiel genauso wie im Machtspiel um gelebte Hingabe. Und gleichzeitig kann im ertragenen Schmerz innere Stärke erlebt werden, da ich auslote, wieviel ich doch zu nehmen bereit bin. Zusätzlich schießt unser Körper eine ordentliche Portion Endorphine durch’s System nach körperlichen Schmerzen, warum auch so viele Menschen auf’s Tätowieren so abfahren und eine Art Sucht nach diesem Douleur Exquisite entwickeln. 

Was ich besonders cool und reizvoll fand, war die automatisch entstehende Präsenz durch solch starke physischen Impulse, die mich bedingungslos in den Moment holten. Und außerdem das schöne Spiel mit den Kontrasten. Ich proklamiere ja fortlaufend, dass das gute Leben vor allem und eigentlich nur in vermeintlichen Widersprüchen und Kontrasten zu erfahren und zu belieben ist. Und auch das BDSM spielt mit dieser Dynamik. So werden nicht nur Schläge verteilt; zwischendrin wird gestreichelt und sowieso allerlei verschiedenste Eindrücke auf der Haut hinterlassen, sodass sich eine wunderbare spielreiche Sinnlichkeit ergibt. Und auch das ist geil, geil, geil.  Schlussendlich stehe ich persönlich total auf Male und Spuren auf meinem Körper. War immer traurig, dass meine Partner nicht so sehr auf Knutschflecken standen wie ich und ging nach der Woche BDSM-Camp mit blauem Po, Biss- und Kratzspuren und stolzer Miene nach Hause. Ich empfinde derlei Markierungen als schöne Erinnerungen und ausgesprochen befriedigend. Oh ja.

Ein Fazit

Ich war und bin noch immer so dankbar, über meinen Schatten gesprungen zu sein und ins Shadow Tantra hinein. Nicht nur fand ich es höchst erheiternd und inspirierend zu lernen, wie  man richtig floggt, fesselt, auspeitscht oder ohrfeigt – ich durfte fast alle meine Vorbehalte herzlich über Bord werfen. 

Denn im Grunde pathologisierte ich BDSM-Praktiken insgeheim. Und nach einer Woche mit diesen fabelhaften Menschen begriff ich, dass ich kaum jemand gesünderes kannte: Nämlich Menschen, die auch ihre sexuelle Vielfalt und Amoralität anerkannten und dieser transparent und verantwortungsbewusst Leben und Sexyness einhauchten. Damit nichts von sich tabuisierten und einen feinen Kanal dafür fanden. 

Völlig angefixt von der Welt des BDSM fuhr ich zurück in die Hauptstadt, legte ich mir allerhand schönes Equipment zu und meldete mich sogleich bei der hiesigen App für derlei Bekanntschaften und Explorations-Gespanne an. — Und wurde prompt wieder ernüchtert, da mich der erste Chatpartner mit geiler Fickfotze ansprach. Ojemine. Mein altes Bild war rückbestätigt .

Aber ich lass mich davon nicht mehr trügen: In allen Bereichen gibt es die Einen und die Anderen und es liegt an uns, die für uns coolen Menschen zu erhaschen. Was ich persönlich mitgenommen habe für ein geiles BDSM sind ganz groß Konsens, echte Eigenverantwortung, absolute Präsenz, keinerlei Annahmen zu machen, steten Respekt zu pflegen, klare Kommunikation und der Spaß am Spiel und Ausprobieren. Damit, Lovers & Loverines — Es braucht mitnichten irgend Werkzeug oder Anzug. Wenn ihr einen schönen Menschen habt, mit dem ihr gerne experimentieren wollt, traut euch in unbekanntes Gewässer zu springen und euch selbst als auch einander in vielleicht bisher ungeahnten Anteilen zu erleben und zu vögeln.

Viel Freude!

 
Katha KeliKink, Konsens, Macht