Von der Lustfalte

 

In Momenten der Erregung bieten wir wortwörtlich Stirn. Und wandeln von Frust zu Lust.

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Aller zwei bis drei Tage sage ich zu meinem Liebsten „Runzel Rapunzel“. Hinter diesem niedlichen aber kryptischen Code verbirgt sich mein Hinweis auf seine in jenem Moment wiedermal aktivierte Grübelfalte. Ihr wisst, jene Grube zwischen den Augenbrauen, die so einige Männer aber auch manche Frauen auf die Stirn geschrieben steht. Ich sage also: „Runzel nicht“ und verziere meine Erziehungsmaßnahme mit einem hübschen Reim. Was mich allerdings zum Grübeln brachte, war dass Ferdinand gar nicht so häufig grübelte. Oder sich sorgte. Oder gar zornig wäre..

Und so begann ich über Falten nachzudenken. Wenn ich das Wort Falten in Google eintippe, gelten tatsächlich alle Treffer derer Entfernung. Unter dem Credo Anti-Aging tun wir offenbar sehr viel, damit unsere Gesichter furchenfrei bleiben. Einerseits.

Andererseits verraten uns Falten einiges über das Leben unseres Gegenübers und mittweilen werten wir diese Gesichtshistorie als charakterstark und interessant. Schließlich empfinden wir auch recht wenig Sympathie für gebügelte Botoxgesichter, in denen wir keinerlei Gefühle mehr erkennen können. Denn gerade Gesichtsfalten zeigen uns doch ganz klar, dass nicht die Zeit, sondern Erfahrung uns „altern“ lässt. Die Formel ist denkbar einfach: Wer viel lacht, der hat Lachfalten. Und wer sich viel sorgt, der hat Sorgenfalten. Oder?

Denn tatsächlich gehen wir recht undifferenziert an unsere Falten heran. Wir unterscheiden zwischen Lachfalten rund um Mund und Augenwinkel sowie Zornes- und Sorgenfalten auf der Stirn. Zwischen Freud und Leid. Aber wir bieten Stirn gleichwohl in anderen Momenten. Nämlich in Momenten der Lust.

Als Ferdinand und ich das erste mal Liebe machten, zeigte er mir wahre Stirn und ich durfte all seine Lust und all seine Begierde in seinem Gesicht lesen. Also auch, versteht sich. Denn die sexuelle Lust betrifft eben nicht nur unsere Lenden, auch nicht nur unseren Leib, sondern auch unser Gesicht. Malerisch verschiebt sich die Stirneshaut in Wogen der Ekstase und zeichnet ein Abbild des kleinen Todes – ein Moment, da Freud und Schmerz einander begegnen.

 
 

Und in Anbetracht dieser Lustfalten stellte ich mir unweigerlich die Frage, ob Menschen mit vermeintlichen Zornes- und Sorgenfalten vielleicht verkannt werden, und stattdessen Kinder großer Lust und vieler Höhepunkte sind. Eine Perspektivverschiebung vom Frust zur Lust.

Unsere Falten sind belebter Beweis eines bewegten Lebens und führen uns vielleicht doch manchmal in die Irre. Auch hier ist Lesen lernen gefragt. Und mit diesem Artikel stelle ich einen neuen Buchstaben im Faltenalphabet vor: Die Lustfalte.

Ps.: Und wer dachte, ich meinte im Titel eine andere Lustfalte... - um die ging es heute mal nicht.

Pps.: ... Gedanken während des Schreibens dieses Artikels ... Vielleicht ist das Verhindern und Verstecken von Gesichtsfalten ein Akt aus Unsicherheit ähnlich dem Vermeiden von Augenkontakt. Es verrät vielleicht zu viel. Mumpitz, würde ich sagen. Wenn wir das Altern als Sammeln von Erfahrung betrachten, und Erfahrungen ja das sind wonach wir alle sehnen und stets auch Fotos unserer Erlebnisse auf Facebook, Instagram und Co. teilen – warum nicht auch in unseren Gesichtern? Offline Face_book olé!

Fotos von der wundervollen Website: beautifulagony.com